Quellen zur chilenischen Diktatur

Am 11. September 2023 jährte sich der Sturz der demokratisch gewählten Regierung von Salvador Allende in Chile durch das Militär unter der Führung von Augusto Pinochet zum 50. Mal. Auf den Putsch 1973 folgte eine sechzehnjährige Diktatur, die erst mit der Übergabe der Macht an eine demokratische Regierung im März 1990 endete. Die Diktatur verfolgte, folterte und ermordete Personen, die sie der Opposition zurechnete. Von den über 3000 ermordeten Menschen sind viele bis heute verschwunden. Mehrere Zehntausend Menschen wurden ins Exil getrieben. Die Menschenrechtsverletzungen in Chile erhielten internationale Aufmerksamkeit und führten zur Entstehung einer Solidaritäts- und Menschenrechtsbewegung in zahlreichen Ländern Lateinamerikas, Nordamerikas sowie West- und Osteuropas.

Quellen zur chilenischen Diktatur, vor allem über ihre Menschenrechtsverletzungen aber beispielsweise auch aus der Solidaritätsbewegung, sind mittlerweile in vielen Fällen digitalisiert und online verfügbar. Einige Institutionen wie das Museo de la Memoria y los Derechos Humanos in Santiago haben Portale aufgebaut, die unterschiedliche Bestände und Informationen verknüpfen. Die Bibliothek des Ibero-Amerikanischen Instituts (IAI) verfügt ebenfalls über zahlreiche Dokumente. Dieser Beitrag ist zweigeteilt. Im ersten Teil werden Quellen in den Beständen des IAI vorgestellt und wie nach ihnen gesucht werden kann. Der zweite Teil gibt eine Übersicht über digitalisierte und online verfügbare Quellenbestände sowie Anwendungen, die thematische Suchen (z. B. nach Haft- und Folterorten, Opfern der Diktatur etc.) und Visualisierungen (z. B. Karten) ermöglichen.

Quellen zur chilenischen Diktatur in den Beständen des IAI

Neben einem umfassenden Bestand an wissenschaftlicher Literatur zur chilenischen Diktatur allgemein sowie zu speziellen Themen, finden sich in der Bibliothek des IAI auch viele zeitgenössische Publikationen und Materialien zum Thema. Da diese nicht in einer einzelnen Sammlung zusammengefasst sind, müssen sie über den OPAC gezielt gesucht werden.

Das IAI verfügt über Einzelexemplare von Zeitschriften der Solidaritätsbewegung mit Chile aus verschiedenen Ländern.

Cover der Zeitschriften Chile Dokumenter, Solidaridad en Dinamarca (beide Dänemark) und Chili-Québec Informations (Kanada).

Die Publikationen können in der erweiterten Suche mit den Schlagwörtern „Chile“ und „Solidaritätsbewegung“ gefunden werden. Es empfiehlt sich den Suchzeitraum auf die Diktaturzeit (1973–1990) zu begrenzen.

In der Filmsammlung des IAI finden sich zahlreiche Filme über die chilenische Diktatur. Sie können für 14 Tage nach Hause ausgeliehen werden. Gefunden werden können sie über die erweiterte Suche im OPAC:

Suche nach Filmen: [ALL] Alle Wörter „Chile“ + [SLW] Schlagwörter „*film“ (so werden sowohl Spiel- als auch Dokumentarfilme gefunden) + Materialart: Filme, Videos, etc.

Die Phonothek des IAI hat Mitschnitte von Solidaritätskonzerten gesammelt. Materialien der Phonothek können im Original nicht nach Hause ausgliehen werden. Es besteht jedoch die Möglichkeit, sich auf schriftlichen Antrag hin für wissenschaftliche Zwecke Überspielungen anfertigen zu lassen. Zu finden sind sie über die erweiterte Suche:

Suche nach Tonträgern: [ALL] Alle Wörter „Chile“ + [SLW] Schlagwörter „Protestlieder“ + Materialart: Tonträger

Schallplatten und Kassetten mit Aufnahmen von Solidaritätskonzerten und Darbietungen chilenischer oppositioneller Künstler

Über die Zeit der Diktatur hinaus geht die Sammlung von Plakaten aus der chilenischen Protestbewegung ab 2019. Sie können in der einfachen Suche mit dem Suchschlüssel „EXK“ (exemplarbezogener Kommentar) und dem Suchbegriff „chilenische Protestbewegung“ gesucht werden.

In der Zeitungsausschnittsammlung des IAI mit 350.000 Ausschnitten aus der deutschen und europäischen Presse finden sich zahlreiche Artikel zu Chile. Dazu zählen über 75.000 Zeitungsausschnitte, die durch das Deutsche Institut für Zeitgeschichte (DIZ) und das Institut für Internationale Politik und Wirtschaft (IPW) der ehemaligen DDR gesammelt wurden. Diese haben als einen regionalen Schwerpunkt Chile. Die Sammlungen sind nicht über einen Katalog erfasst. Auf Anfrage werden die entsprechenden Länderordner vorgelegt. Die Zeitungsausschnitte bilden eine wertvolle Quelle zur Untersuchung der Wahrnehmung der Diktatur und öffentlichen Debatten zu Chile in West- und Osteuropa.

Digitale Ressourcen

Chilenische Institutionen und Initiativen haben in den letzten Jahren zahlreiche Dokumente zur chilenischen Diktatur digitalisiert und online verfügbar gemacht. Daneben gibt es Anwendungen die die Recherche zu bestimmten Themen unterstützen.

Portale und digitale Archive in Chile

Memoria Chilena, ein Angebot der chilenischen Nationalbibliothek, bietet Dossiers zu Schwerpunktthemen mit einer kurzen Einführung, ausgewählten Dokumenten und Fotos, einer Chronologie sowie einer Bibliographie und weiterführenden Links. Relevant für die Zeit der Diktatur sind aus der Kategorie „Historia“, vor allem die Sektion „Política y Legislación“ (z. B. El Partido Comunista, Movimiento Feminista durante la dictadura) sowie einige Sektionen aus der Kategorie „Prensa y periodismo“. In letzter finden sich digitalisierte Ausgaben verschiedener Zeitschriften der Opposition (s. Abschnitt „Digitalisierte Zeitschriften der chilenischen Opposition“). Eine Übersicht zu den Dossiers, die den Putsch und die chilenische Diktatur betreffen, findet sich auf der Seite der Biblioteca Nacional Digital.

Dossier zu „Panfletos del período de la dictadura militar (1973–1988)“ in Memoria chilena

Die (digitale) Biblioteca Clodomiro Almeyda enthält digitalisierte Zeitschriften, weitere Publikationen der chilenischen Linken sowie Dokumente einiger ihrer Vertreter aus dem Zeitraum der Diktatur. Unter „Hemeroteca“ (roter Kreis) finden sich digitalisierte Ausgaben von Exilpublikationen der chilenischen Linken

Angebote des Museo de la Memoria y los Derechos Humanos

Das Museo de Memoria y los Derechos Humanos hat Teile der Bestände digitalisiert und online verfügbar gemacht. Außerdem bietet die Webseite des Museums weitere Anwendungen zu verschiedenen Themen in Bezug auf die Menschenrechtsverletzungen der chilenischen Diktatur.

Beispiele für die Angebote des Museo de la Memoria y los Derechos Humanos: Die Startseite des „Archivo Radial“ (links), das Gefängnis von Parral in der Übersicht der Haft- und Folterzentren (mitte) und die Startseite für die Suche nach biographischen Informationen zu Verschwundenen und Ermordeten (rechts).

Der Gedenkort im ehemaligen Haft- und Folterzentrum Londres 38 bietet in seinem digitalen Archiv Dokumente aus Schenkungen von Menschenrechtsorganisationen, Opfern und Angehörigen sowie Fragmente aus den Interviews des Oral History-Archivs.

„Fondo Archivo Oral“ im digitalen Archiv von Londres 38

Interviewarchive

Die chilenischen Gedenkeinrichtungen wie das Museo de la Memoria y los Derechos Humanos und die Corporación Parque por la Paz Villa Grimaldi verfügen über umfassende Oral History-Archive. Sie haben aber entschieden die Interviews nicht online zur Verfügung zu stellen. Londres 38 bietet Interviewausschnitte zum Anhören und Ansehen an.

Das Projekt „Colonia Dignidad. Ein chilenisch-deutsches Oral History-Archiv“ (CDOH) hat 64 Interviews mit ehemaligen Bewohner:innen der Sektensiedlung, ehemaligen politischen Gefangenen, Angehörigen von Verschwundenen, chilenischen Jungen, gegen die Paul Schäfer sexuelle Gewalt ausübte und weiteren Zeitzeuginnen und Zeitzeugen geführt. Der Putsch und die chilenische Diktatur bilden einen wichtigen Bezugspunkt für die lebensgeschichtlichen Erzählungen der Interviewten, vor allem die der ehemaligen politischen Gefangenen und der Angehörigen von Verschwundenen, aber auch für die aus den übrigen Gruppen. Die Interviews wurden transkribiert und wissenschaftlich erschlossen sowie zum großen Teil übersetzt. Sie sind nach einer kostenlosen Registrierung auf einer zweisprachigen Plattform in einem geschützten Rahmen online zugänglich. Die Interviews können im Volltext durchsucht werden. Eine Karte mit den in den Interviews erwähnten Orten und ein Glossar unterstützen die Einführung in das Thema Colonia Dignidad.

(Der Autor war von 20192022 für die Koordination des Projekts CDOH zuständig.)

Startseite von CDOH

Karte mit Geburtsorten (grün) und in den Interviews erwähnten Orten (gelb). Häufungen gibt es in Santiago und in der Region Maule, in der die ehemalige Colonia Dignidad liegt.

Internationale Organisationen und Archive außerhalb Chiles

Die Menschenrechtsverletzungen in Chile waren zwischen 1973 und 1990 ein viel diskutiertes Thema in den unterschiedlichen Organen der UN. Dies spiegelt sich auch in den offiziellen Dokumenten wider, die über die United Nations Digital Library gefunden und heruntergeladen werden können. Es empfiehlt sich dabei, sich zunächst mit der Struktur der UN in den 1970er und 80er Jahren zu befassen, um die für Chile relevanten Organe und Sitzungen zu identifizieren (z. B. die jährlichen Sitzungen der UN-Menschenrechtskommission oder die der UN-Generalversammlung).

Über die erweiterte Suche lassen sich die Ergebnisse zwar einschränken. So ergibt eine Suche nach „Chile“ und „Human Rights“ über 5000 Treffer. Diese können allerdings nur jahrweise, nicht für einen Zeitraum (z. B. 1973–1990) gefiltert werden.

Das US State Department macht über seinen Virtual Reading Room im Rahmen des Freedom of Information Act deklassifizierte Dokumente online zugänglich, darunter auch über 22.000 zu Chile während der Diktatur. Die Dokumente stammen vor allem aus dem State Department, aber auch von der CIA und weiteren Geheimdiensten oder dem National Security Council. Die Dokumente können im Volltext durchsucht werden.

Ergebnisse für eine beispielhafte Suche nach „disappeared“. Durch eine Eingabe in das Feld „Refine Search“ lässt sich die Auswahl weiter eingrenzen.

Digitalisierte Zeitschriften der chilenischen Opposition

Memoria Chilena bietet digitalisierte Zeitschriften der chilenischen Opposition aus den 1970er und 80er Jahren zum Download an.

Titel der ZeitschriftMemoria Chilena – BestandBestandslücken
Análisis1977,1–1993,440[N=7; 156; 208–337;387–388]
Apsi1975,1–1995,510 [N=190]
Cauce1984,1–1989,227[N=90]
Solidaridad1976,1–1990,300keine
Digitalisierte Ausgaben von Zeitschriften der chilenischen Opposition in Memoria Chilena