Maria Firmina dos Reis, erste Schwarze Romanautorin der portugiesischsprachigen Welt

Nachdem wir jüngst bereits über Twitter auf einen Beitrag für den brasilianischen Blog TAB (UOL) hingewiesen haben, der auf die sehr interessante und vergleichsweise wenig bekannte Geschichte von Maria Firmina dos Reis eingeht, wollten wir es uns nicht nehmen lassen dieser faszinierenden Person auch noch einmal einen eigenen Beitrag widmen.

Firmina (1822-1917) war die erste Frau, die in Brasilien über eine öffentliche Ausschreibung eine Stelle als Lehrerin erhalten hat, und die erste Schwarze Romanautorin der gesamten portugiesischsprachigen Welt. Dies ist in vielerlei Hinsicht bemerkenswert, immerhin lag der allgemeine Alphabetisierungsgrad gemäß dem ersten brasilianischen Zensus (1872) bei lediglich 20%. Betrachtet man die einzelnen Demographien differenzierter ist dies umso erstaunlicher, da dieser Wert für Frauen bei ca. 13%, für die nichtfreie (also die afrikanische und zum großen Teil auch die afrikanischstämmige) Bevölkerung sogar nur bei erschreckenden 0,1% lag. Außerdem lebte Firmina in der Provinz (heute: Bundesstaat) Maranhão, also einem im Hinblick auf die Kulturproduktion eher peripheren Gebiet, fernab der kaffeeproduzierenden Regionen des Südostens und der damaligen Hauptstadt Rio de Janeiro. Nicht zuletzt könnte auch die früheste Andeutung homosexuellen Begehrens in der brasilianischen Literatur auf sie zurückgehen: In ihrer Gedichtesammlung Cantos à beira-mar (1871) liest man im Gedicht „A uma amiga“ von der Eifersucht, die das lyrische Ich heimsucht, als sich die Angebetete einem Mann hingibt.

Eu tive tantos ciúmes! …

Teria dos próprios numes,

Se lhe falassem de amor.

Porque, querê-la – só eu.

Mas ela! – a outra ela deu

meigo riso encantador…

Ela esqueceu-se de mim

Por ele… por ele, enfim.

Letzte Strophe des Gedichts „A uma amiga“.

Die Autorin musste folglich gegen mannigfaltige Widerstände ankämpfen, um ihre literarische Vision zu verwirklichen. In Anbetracht ihrer mehrfachen Außenseiterinnen-Rolle antizipierte sie eine eher feindselige Rezeption und setzte z.B. vor ihren Roman Úrsula (1859) wohlweislich eine Art „Disclaimer“:

Mesquinho e humilde livro é este que vos apresento, leitor. Sei que passará entre o indifferentismo glacial de uns e o riso mofador de outros, e ainda assim o dou á lume. […] Não é a vaidade de adquirir nome que me cega, nem o amor proprio de author. Sei que pouco vale este romance, porque escripto por uma mulher, e mulher brasileira, de educação acanhada e sem o tracto e a conversação dos homens illustrados, que aconselham, que discutem e que corrigem, com uma instrucção miserrima, apenas conhecendo a lingua de seus paes, e pouco lida, o seu cabedal intellectual é quasi nullo.

Dieses Buch, das ich dem Leser präsentiere, ist klein und bescheiden. Ich weiß, dass es zwischen der eisigen Gleichgültigkeit der Einen und dem spöttischen Lachen der Anderen untergehen wird, und dennoch gebäre ich es. […] Es ist nicht die Eitelkeit, einen Namen zu erwerben, die mich blendet, noch die Eigenliebe eines Autors. Ich weiß, dass dieser Roman wenig wert ist, denn er wurde von einer Frau, und zwar einer Brasilianerin, mit bescheidener Erziehung und ohne den Umgang und die Konversation mit den illustren Männern geschrieben, die beraten, diskutieren und korrigieren, [einer Frau] mit unbedeutender Bildung, die nur die Sprache ihrer Eltern kennen, und wenig belesen, ihr intellektuelles Eigentum ist beinahe gleich null.

Aus dem Vorwort zu Úrsula (Übersetzung G.K.).

Sicherlich ist es einer Kombination aus all diesen Faktoren geschuldet, dass Autorin und Werk erst in den 1970er Jahren (wieder)entdeckt wurden. Seitdem wurde intensiv geforscht und viel publiziert, sodass sie heute (zurecht) als Gründungsfigur der afrobrasilianischen Literatur gilt. Sie kann außerdem als Pionierin des brasilianischen Abolitionismus betrachtet werden, schließlich erschien Úrsula beispielsweise über eine Dekade vor dem vielbeachteten Gedicht O Navio Negreiro (1870) des bahianischen Dichters Castro Alves, Galionsfigur dieser Bewegung (der aber, wenig überraschend, ein weißer Mann war). Es ist möglich, dass sie im Vorfeld Literatur aus dem Ausland rezipiert hat, z.B. Onkel Tom’s Hütte (1852) von Harriet Beecher Stowe. Die Rezeptionsgeschichte ihres eigenen Werks spricht allerdings dagegen, dass sie selbst wesentliche Impulse für den Abolitionismus in Brasilien gesetzt haben könnte.

Wirklich bahnbrechend in Firminas Oeuvre ist die Konstruktion ihrer Schwarzen Charaktere. Bei ihr kommen Schwarze Menschen erstmals selbst zu Wort, werden also als reflektierende und handelnde Wesen dargestellt, nicht als bloße Objekte der wie auch immer gearteten Phantasie oder auch als ausführende Organe des Willens Dritter, ein Novum in der schönen Literatur ihrer Zeit. Auch in der außerliterarischen Welt hat Maria Firmina dos Reis mit Konventionen gebrochen, indem sie beispielsweise eine „gemischte“ Schule gründete, in der Schwarze und Weiße zusammen unterrichtet wurden.

Es ist nur recht und billig, dass diese großartige Frau seit einigen Jahren die Anerkennung erfährt, die ihr gebührt, auch wenn es natürlich höchst bedauerlich ist, dass ihr diese nicht schon zu Lebzeiten entgegengebracht wurde. Wie so viele Talente, die unsichtbar gemacht wurden (und immer noch werden), drohte auch sie im Strudel der Zeit unterzugehen. Dass dies letztendlich doch nicht eingetreten ist, stimmt auch zuversichtlich. Immerhin ist davon auszugehen, dass interessierte und engagierte Forschende auch weiterhin marginalisierte und unterrepräsentierte Stimmen aus ihren „Verstecken“ in Bibliotheken und Archiven erretten und ihnen ein Forum bieten werden, auf dass sie endlich gehört werden mögen.

Rezitation von O Navio Negreiro (1870) von Castro Alves (Teil 1).
Rezitation von O Navio Negreiro (1870) von Castro Alves (Teil 2).
Rezitation von O Navio Negreiro (1870) von Castro Alves (Teil 3).

Auswahlliteratur

Arraes, Jarid (2017): Heroínas negras brasileiras em 15 cordéis. São Paulo : Pólen.

Fernandes, Andrea / Warth, Cristina Fernandes / Warth, Mariana (2010): Contos do mar sem fim : antologia. Angola, Brasil, Guiné-Bissau.

Dorea, Alfredo Souza: „Maria Firmina dos Reis, negra memória do Maranhão„. In: Cadernos do Ceas. 1995, Especial: 300 anos de Zumbi. – Salvador, 1995, Especial : 13-18.

Lobo, Luiza (1985): „Um auto-retrato de mulher : a pioneira maranhense Maria Firmina dos Reis„. In: Letterature d’America. – Roma , Anno 7(1985/86), Nr. 29/31 : 71-86.

Machado, Amanda / Moura, Marina (2017): Poesia gay brasileira : Antologia. Belo Horizonte, São Paulo : Ed. Machado.

Reis, Maria Firmina dos (1975 [1859]): Úrsula. Photoreprint of the 1859 ed. published by Typographia do Progresso, San’Luiz; with new preface. Rio de Janeiro.

– (1871): Cantos á Beira-Mar. São Luís.

Stowe, Harriet Beecher (1853): A cabana do pai Thomaz, ou, A vida dos pretos na America : romance moral. Escripto em inglez por Mrs. Harriet Beecher Stowe e traduzido em portuguez por Francisco Ladislau Alvares D’Andrada. Paris : Rey & Belhatte. [1853].