Rosalía de Castro und die galicische Dichtung

Auch dieses Jahr wird überall in Galicien wieder Rosalía de Castro gedacht. Zwar hat die Lyrikerin vorwiegend auf Kastilisch verfasst, dennoch ist sie vor allem als Symbolgestalt des galicischen Regionalismus Teil des kollektiven Gedächtnisses geworden — allerdings nicht zu ihren Lebzeiten, in denen ihr Werk nahezu unbeachtet blieb (ein Schicksal, das freilich viele herausragende Frauen teilen dürften).

María Rosalía Rita de Castro wurde 1837 als uneheliche Tochter von María Teresa de la Cruz de Castro y Abadía, eine Dame aus einem verarmten Adelsgeschlecht, und José Martínez Viojo, Kaplan der kleinen Gemeinde Iria Flavia, geboren. Ihr Talent für die Wortkunst ist wahrscheinlich schon früh aufgefallen, immerhin spielte sie im Liceo de la Juventud die Hauptrolle im Theaterstück Rosamunda von Antonio Gil y Zárate. In dieser Zeit kam sie mit wichtigen Namen der galicischen Literaturszene in Kontakt, so auch ihrem zukünftigen Ehemann Manuel Murguía. Mit Murguía, der Chronist war und für diverse Madrider Tageszeitungen schrieb, bereiste sie ganz Spanien. Dennoch wird ihr Lebensstil als „häuslich“ beschrieben, denn sie verbrachte die meiste Zeit zurückgezogen im Kreise der Familie (Sie brachte sieben Kinder zur Welt, von denen eins jedoch sehr jung bei einem Unfall ums Leben kam und ein anderes tot geboren wurde). Tatsächlich soll ihr Mann sie darin bestärkt haben ihre literarischen Werke zu veröffentlichen, da Rosalía keinen Wert auf das Rampenlicht legte.

Airiños, airiños aires,

airiños da miña terra;

airiños, airiños aires,

airiños, levaime a ela.

Aus Cantares Gallegos (1863), Nr. 17.

Nichtsdestoweniger entwickelte sie sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einer zentralen Figur in der Bewegung, die sich Rexurdimento („Wiederauferstehung“) nennt. Obwohl das Galicische ursprünglich Teil desselben Varietätenkontinuums ist, zu dem auch das Portugiesische zählt, haben die politische Abhängigkeit zu und die strukturelle Vernachlässigung der Region durch Spanien es – in der Wahrnehmung der Zeitgenossen*innen und auch von de Castro selbst – zu einem bloßen „Dialekt“ des Kastilischen werden lassen. Die Dominanz von Letzterem in der Schriftsprache, der offiziellen Kommunikation und dem Bildungssystem haben über die Jahrhunderte außerdem zu einer Abwertung des Galicischen geführt, die in Gestalt von Attributen wie „bäuerlich“ noch ihren freundlichsten Ausdruck findet. Die Autoren*innen des Rexurdimento versuchten durch Anschluss an die „goldenen Zeiten“ der galicisch(-portugiesischen) Dichtung dem entegegenzuwirken, zementierten allerdings ironischerweise die Diglossie, indem sie das Galicische zum nostalgischen Vehikel der „Volksseele“ stilisierten. Ohne es zu ahnen demonstrierte Rosalía de Castro jedoch durch Innovationen in ihrer Ausrucksform, dass auch das Galicische Träger moderner Ideen und Bildsprache sein kann. Vielleicht werden ihre Cantares Gallegos (1863) auch deshalb als „expresión máxima“ (Moreno Fernández 2005: 212) dieser literarischen Bewegung betrachtet.

Nach Vertonung ist Adiós ríos, adiós fontes von Rosalía de Castro zu einer inoffiziellen Hymne Galliens geworden.

Auswahlliteratur

Castro, Rosalía de (2007): 20 Gedichte aus Galicien. Xunta de Galicia. Zusammenstellung: Marga Romero und Dieter Kremer

-(1998): Poesía completa en galego. Ed. de Benito Varela Jácome. Vigo: Ed. Xerais de Galicia.

-(1984): Cantares gallegos. Letras hispánicas – Madrid: Cátedra.

Echenique Elizondo, María Teresa / Sánchez Méndez, Juan P. (2005): Las lenguas de un reino : historia lingüística hispánica. Madrid: Gredos.

García Vega, Lucía (2014): Rosalía de Castro e os lugares de „Cantares gallegos“. Ponte Caldelas, Pontevedra: Edicións do Cumio.

Geoffrion-Vinci, Michelle C. (2002): Between the material aegis and the abyss : woman as symbol in the poetry of Rosalía de Castro. Madison, NJ, London: Farleigh Dickinson Univ. Press, Assoc. Univ. Press.

Moreno Fernández, Francisco (2005): Historia social de las lenguas de España. Barcelona: Ed. Ariel.

Raña, Román (1995): Manual e escolma do Rexurdimento. Santiago de Compostela: Sotelo Blanco.