Von Spesenbüchern, Wetterkapriolen und Erdbeben – Der Nachlass von Hans Steffen in den Digitalen Sammlungen

Wann unser Lesesaal seine Türen wieder für Nutzerinnen und Nutzern öffnet und damit auch die umfangreichen Materialien aus unseren Sondersammlungen wieder zur Verfügung stehen, bleibt weiterhin offen. Grund genug einen kleinen Streifzug durch den digitalisierten Nachlass des deutschen Geografen Hans Steffen zu wagen, der umfangreiches Material unter anderem zum chilenisch-argentinischen Grenzstreit, der transatlantischen Wissenszirkulation um 1900 und Wissenschaftspraktiken bietet. Dank eines vom Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien finanziertem Projekt, bei dem 2013 der gesamte Nachlass gesichtet, geordnet, katalogisiert, konservatorisch aufbereitet und in Teilen digitalisiert wurde, steht beeindruckendes Bild-, Karten- und Schriftgut aus dem Nachlass Hans Steffen in den Digitalen Sammlungen des IAI zur Verfügung.

Mit Blick auf die Materialien, die (digital) zur Verfügung stehen, bleibt unverkennbar, was den 1865 als Sohn eines Militärarztes in der Uckermark geborenen Friedrich Emil Steffen – so der Geburtsname – zeitlebens besonders faszinierte, nämlich geografische Feldforschungen. Ursprünglich war Steffen 1889 von der chilenischen Regierung mit der Aufgabe betraut worden, am neu etablierten Instituto Pedagógico als Professor für Geschichte und Geografie chilenische Lehrkräfte nach preußischem Vorbild auszubilden. Doch die Lehnstuhlmethode lag dem promovierten Geografen überaus fern – bald widmete er sich vor allem seinen Expeditionen, die er zunächst privat finanzierte und in den 1890er Jahren dann im Auftrag der chilenischen Regierung durchführte.

Ziel seiner Reisen war oftmals das im Süden Chiles gelegene Patagonien – eine Region, an der sich die Grenzkonflikte zwischen Argentinien und Chile entfachten. Mit dem zunehmenden Interesse beider Staaten an den südlichen Gebieten gewann auch die Grenze in dieser Region an Bedeutung, deren Verlauf bis in die 1880er Jahre nur unscharf festgelegt worden war. Erstmalig definiert wurde die Demarkationslinie 1881 in einem unter US-amerikanischen Vermittlungen geschlossenen Grenzvertrag. Die Grenzlinie, so hielt jener Vertrag fest, sollte in den Anden „[…] entlang der höchsten Gipfel dieser Kordillere, die die Wasser teilen, […]“ verlaufen. So weit so, so unklar – denn im südlichen Patagonien wich die benannte Wasserscheide stark von der Kammlinie ab. Welche Grenzlinie nun die Entscheidende war – die hydrografische Linie, wie Chile argumentierte, oder doch die Gipfelkette, für die Argentinien optierte –, dies war der zentrale Streitpunkt zwischen den von beiden Ländern eingesetzten Grenzkommissionen.

Steffen, Hans: Ausschnitt aus der wasserscheidenden Region der centralen chilenisch-argentinischen Anden. Nach den Aufnahmen der III. Chilenischen Grenz-Subkommission.

Steffen war ein wichtiges Mitglied der chilenischen Grenzkommissionen, die im Auftrag der chilenischen Regierung das bis dato kaum erforschte Patagonien erfassen und damit zur Klärung der Grenzfrage beitragen sollten. Steffens Aufgabe galt hierbei der geografischen Erschließung des südlichen Patagoniens, worunter unter anderem die Kartierung dieser Region fiel. Dementsprechend vielseitig und umfangreich sind die heterogenenen Forschungsdaten, die Steffen beispielsweise zu den Regionen um den Palenasee und den Río Asién, die er 1893 und 1896-1897 bereiste, sammelte. Dazu zählt Bildmaterial, Skizzen und frühe Fotografien, sowie Aufzeichnungen und Kartenmaterial von Personen, die ebenfalls die Region bereist hatten, wie beispielsweise eine Ansicht der Reiseroute des Franziskaners P. Francisco Menendes in der Region um Bariloche aus dem Jahr 1791. Einmal vertraut mit Steffens Handschrift und Kürzeln, ermöglichen die detaillierten Forschungstagebücher einen bedeutenden Einblick in die Arbeitsweise dieses Geografen. Dessen akribische Dokumentation war dann auch insofern bedeutsam, dass Steffen die hydrografische Demarkationslinie für das Gebiet Rio Aisén genau bestimmen konnte, die 1902 wiederum von der englischen Schiedskommission als Grenze für das Gebiet akzeptiert wurde.

Akribisch war Steffen jedoch nicht nur bei seinen Forschungen, sondern auch in der Dokumentation der Kosten, die im Laufe der Expeditionen entstanden waren, bspw. für die Verpflegung. So finden sich neben Expeditionsnotizen eben auch Inventars- und Beschaffungslisten und ein Spesenbuch von 1910, in dem Steffen nicht nur genau festhielt, mit welcher Zuggesellschaft er von Buenos Aires nach Jujuy reiste, sondern auch, welche Ausgaben ihm für Speisen und Ähnliches entstanden waren. Die Kosten für den Gepäckträger, der übrigens 1 Peso Moneda Nacional erhielt, wurden somit ebenso verzeichnet wie der Reiseproviant für die Expeditionen, was verdeutlicht, welchen wichtigen Stellenwert die „Forschungslogistik“ und -finanzierung bei Steffen einnahmen. Diese Aufzeichnungen bieten zugleich Einblicke in die Ernährungs- und Konsumgeschichte Ende des 19. Jahrhunderts, in der es noch Einiges zu entdecken gibt. Offen bleibt beispielsweise bei der hier aufgeführten Inventarsliste, welches Getränk sich hinter „agua amarilla“ versteckte.

„Juan“ Steffen, wie er später signierte, hatte zugleich ein ausgeprägtes Interesse an Meteorologie und Erdbebenforschung. Als es am 16.8.1906 zu einem verherrenden Erdbeben in Valparaiso kam, bei dem mehr als 3000 Personen ums Leben kamen, wurde Steffen abermals von der chilenischen Regierung beauftragt, die Schäden zu dokumentieren und zu begutachten. In den Materialien hierzu finden sich nicht nur fotografische Aufnahmen zu den Folgen der Naturkatastrophe, sondern auch detaillierte Beschreibungen zu den Meeresbewegungen vor und nach dem Beben, die Steffen über einen kleinen Fragebogen einholen ließ. Diese schriftlichen und visuellen Dokumente zum Erdbeben 1906 oder zum Ausbruch des Vulkans Calbuco im Jahr 1893 bilden ebenso wie die Bilder vom schneebedeckten Santiago de Chile wichtige Quellen für die Natur- und Umweltgeschichte des Landes.

Originalberichte zum Kapitel über Seebewegung u. Küstenveränderung beim Terr.[emoto] 16. VIII 1906

Angesichts der Fülle an Material können hier nur schlaglichtartig Dokumente hervorgehoben werden. Zugleich muss noch genügend Stoff für die eigenen Erkundungen übrig bleiben, denn ein digitaler Streifzug durch diesen außergewöhnlichen Nachlass, der nach Steffens Tod 1936 an das IAI ging, lohnt sich in jedem Fall! Bei der Suche helfen übrigens die Facetten auf der rechten Seite, über die Sie verschiedene Materialarten wie Karten und Fotografien oder auch Orte direkt ansteuern können. Zudem gilt, was bei unseren anderen Sammlungen auch zutrifft: Dokumente können u.a. über den Mirador verglichen oder in unterschiedlichen Dateiformaten abgespeichert werden. Diese Funktionen finden Sie unter „Zitieren und Nachnutzen“.

Neben den digitalisierten Materialien findet sich auch in unserem OPAC allerhand von und zu Hans Steffen. Als Einstieg ist beispielsweise die Biobibliografie von Thomas Gerdes und Stefan Schmidt zu empfehlen, die im Zusammenhang mit dem oben genannten Erschließungsprojekt entstand und auf den letzten Seiten auch einen Überblick über die Teile bietet, die nun in den Digitalen Sammlungen zu finden sind. Und wer die Ausstellung zu Hans Steffen verpasst hat, die 2015 in den Räumen des IAI gezeigt wurde, kann sich über die digitalisierten Ausstellungstafeln freuen. Und zu guter Letzt: Für Fragen und Hinweise zu diesem Nachlass stehen die Kolleginnen und Kollegen in den Sondersammlungen gerne zur Verfügung: legados@iai.spk-berlin.de.