Von El condor pasa zu The Obvious Child: lateinamerikanische Melodien und Rhythmen bei Paul Simon

Mrs. Robinson, Bridge over troubled water, The sound of silence und viele mehr: Paul Simon, der am 13. Oktober 80 Jahre alt wird, gilt als einer der erfolgreichsten Songschreiber und Musiker. Als Teil des Duos Simon & Garfunkel und als Solo-Künstler veröffentlichte er mehr als 25 Alben und schrieb bisher fast 200 Songs.

Paul Simon
Paul_Simon_in_1982. Nationaal Archief, Den Haag, Rijksfotoarchief: Fotocollectie Algemeen Nederlands Fotopersbureau (ANEFO), 1945-1989 – negatiefstroken zwart/wit, nummer toegang 2.24.01.05, bestanddeelnummer 932-2092, CC0, via Wikimedia Commons

1965 trat Paul Simon in Paris im Théâtre de l’Est Parisien auf. Dort lernte er die zeitgleich anwesende Gruppe Los Incas kennen. Los Incas waren 1956 in Paris vom Argentinier Jorge Milchberg gegründet worden, der auch die meisten ihrer Stücke arrangiert. Außer ihm gehörten Jorge Cumbo, Emilio Arteaga, Juan Dalera und Uña Ramos der Gruppe an. Paul Simon tauschte sich mit Jorge Milchberg aus und entschied sich, den 1963 von Los Incas aufgenommenen Song Paso Del Cóndor neu zu arrangieren und mit einem vom spanischen Original unabhängigen englischen Text zu versehen.

Für das Album Bridge over troubled water holte Simon die Band nach New York ins Studio, um zusammen den Titel El condor pasa aufzunehmen. Zu diesem Zeitpunkt war das Zerwürfnis zwischen Art Garfunkel und Paul Simon, das 1970 schließlich zur Auflösung des Duos führte, bereits fortgeschritten und Garfunkel befand sich nicht mehr im Studio. Bridge over troubled water wurde ein durchschlagender Erfolg und Paul Simon spielte die Lieder aus diesem Album auch in den Folgejahren bei seinen Solo-Konzerten. Urubamba, wie die südamerikanische Band sich inzwischen nannte, begleitete Simon auf seiner Live Rhymin-Tour und spielte dort sowie auf dem dabei entstehenden Album bei den Songs El condor pasa und Duncan. Auf der Tour begleiteten sie zudem mit ihren Instrumenten „klassische“ Paul-Simon-Songs wie The Boxer.



LP Urubamba




1974 produzierten Paul Simon und sein langjähriger Toningenieur Phil Ramone mit Urubamba ein gleichnamiges Album, das auch eine Version von El condor pasa enthielt. Die Single-Version brachte auf der B-Seite unter dem Titel O cangaçeiro eine Instrumental-Version des emblematischen Liedes Mulher Rendeira aus dem berühmten brasilianischen Spielfilm O Cangaçeiro (deutscher Titel: Die Gesetzlosen) von 1953 … aber das ist eine ganz andere Geschichte, und zur brasilianischen Musik kommen wir später. Auch auf weitere Rezeptionen und Adaptationen können wir hier nur kurz hinweisen: so verwendete Art Garfunkel für seinen Solo-Titel Mary was an only child wiederum die Melodie von El Eco aus dem Album Urubamba.

Daniel Alomia Robles
Daniel Alomía Robles




Was hat es nun mit dem oft als „uralte Inka-Melodie“ bezeichneten Stück El condor pasa auf sich? Ganz so alt ist es nicht, denn es geht auf eine Komposition von Daniel Alomía Robles von 1913 zurück, die wiederum auf dem peruanischen Lied Soy la paloma que el nido perdió aus dem 18. Jh. beruht (eine Partitur findet sich hier in der Bibliothek des IAI). Alomía Robles, der nicht nur Komponist, sondern auch Musikethnologe war, komponierte El condor pasa für eine gleichnamige Zarzuela, ein operettenähnliches Singspiel. Die zwischenzeitlich aus politischen Gründen in Peru verbotene Zarzuela handelt vom Konflikt der indigene Minenarbeitern mit den europäischen Besitzern der Mine, die als sajones bezeichnet werden. Der gewaltsame Aufstand gegen die Unterdrücker misslingt jedoch und der Kondor, das Symbol der Freiheit, zieht weiter seine Kreise hoch über der Erde.


Eine Rezension in der New York Times vom 14. Oktober 1990 zu Paul Simons Album The Rhythm of the Saints hebt das Interesse Simons an traditioneller Musik hervor, das bereits lange vor dem südafrikanisch inspirierten Bestseller-Album Graceland einsetzte und sich z.B. in der Bearbeitung des nordenglischen (oder schottischen) Stücks Scarborough Fair 1965 zeigte. Traditionelle und populäre Percussion aus Brasilien ist konstitutiv für Simons Album The Rhythm of the Saints (1990). Der Titel The Obvious Child entstand dabei in Zusammenarbeit mit Olodum, einer 1979 von Antonio Luis Alves de Souza (Künstlername Neguinho do Samba) gegründeten Gruppe aus Salvador da Bahia, die den Sambareggae geprägt hat und in großer Formation als bloco afro am Karneval teilnimmt. Dabei verstand und versteht sich die Gruppe immer auch als Kollektiv von Aktivisten und betreibt bis heute im Zentrum von Salvador da Bahia einen Kulturverein, eine Schule und verschiedene soziale Projekte. Für The Obvious Child fanden die Percussion-Aufnahmen live in den Straßen von Salvador statt.



Literatur in der Bibliothek des IAI, CDs/ LPs in der Phonothek des IAI und andere Quellen:

Luis Salazar Mejía: El Misterio del Cóndor. Memoria e Historia de “El Cóndor Pasa”.

José Varallanos: El cóndor pasa. Vida y obra de Daniel Alomía Robles, músico, compositor y folklorista peruano. Biografía, glosario, texto del drama, documentario partituras.

Ernesto Toledo Brückmann: El cóndor pasa: mandato y obediencia. Análisis político y social de una zarzuela.

Der vergessene Vater von „El cóndor pasa“ (Deutschlandfunk Kalenderblatt).

Olodum. Carnaval, cultura e negritude, 1979-2014.

Música do Olodum: revolução da emoção, 1983-2002.

Charles A. Perrone / Christopher Dunn: Brazilian popular music & globalization.

LP Urubamba (1974)

CD The Best of Olodum (1997)