Neu in den Digitalen Sammlungen des IAI: „Das Todtenfeld von Ancon in Perú“

Fast sieben Jahre – von 1880 bis 1887 – brauchten die beiden deutschen Wissenschaftler Johann Wilhelm Reiß und Moritz Alphons Stübel, bis alle Ergebnisse ihrer Ausgrabungen veröffentlicht waren. Nun, mehr als 100 Jahre nach der ersten Veröffentlichung, ist neben der englischsprachigen Ausgabe erstmalig auch die deutschsprachige Fassung des Werkes „Das Todtenfeld von Ancon in Perú: ein Beitrag zur Kenntniss der Kultur und Industrie des Inca-Reiches: nach den Ergebnissen eigener Ausgrabungen“ online verfügbar.

Tafel 2. – Die Bucht und das Todtenfeld von Ancón.
Tafel 1. – Plan von Ancón und dem angrenzenden Todtenfelde.

Wer einen Blick in das frisch digitalisierte Werk wirft, kann erahnen, wie viel Arbeit die deutschen Forschungsreisenden in die Ausgrabungen und die zugehörige Publikation investierten. Drei Monate lang hatten Reiß und Stübel 1875 nahe des peruanischen Küstenortes Ancón eine im Sand versunkene Inka-Grabstätte ausgegraben und waren dort auf zahlreiche Fundstücke – von Mumien, Gewändern über Textilien und Arbeitsgeräten bis hin zu Kinderspielzeug – gestoßen. Als Geologen bewegten sich die beiden jungen Wissenschaftler bei diesen archäologischen Tätigkeiten auf einem für sie unbekannten Terrain, ihre Ausbildung kam ihnen allerdings insofern zu Gute, als dass sie alle Fundstücke – nicht nur die intakten und markanten – sammelten und für die Zeit außergewöhnlich präzise und standardisiert dokumentierten. Besonders war auch die Publikation selbst: Inspiriert von Humboldts Folioformaten und dem vom Humboldt Schüler Mariano Rivero herausgegebenen großformatigen Atlas „Antigüedades peruanas“ präsentierten sie ihre Ergebnisse in insgesamt drei prachtvoll gestalteten, 52 cm hohen und 39 cm breiten Bänden. Ihr Fokus lag klar auf der visuellen Darstellung der Fundstücke, die in mehr als 141 Abbildungen mit nur wenig Text vorgestellt wurden. Anders als ihre Zeitgenossen griffen Reiß und Stübel hierbei nicht zum neuen Medium Fotografie, sondern entschieden sich für Farblithographien, deren Vorlagen zuvor von ausgebildeten Malern per Hand angefertigt worden waren.

Tafel 66. – Breite Gobelin-Wollborten.

Zeitgenössische Wissenschaftler, wie der deutsche Pathologe und Anthropologe Rudolf Virchow, der selbst einen Beitrag zum letzten Band zugesteuert hatte, begrüßten das Prachtwerk euphorisch: In seiner Rezension, veröffentlicht 1887 in der Zeitschrift für Ethnologie, beschrieb Virchow das „Todtenfeld von Ancon zu Peru“ mit seinen „in wunderbarster Schönheit fixirten [sic] Abbildungen“ als „grundlegende Ikonographie“, die neue, erstaunliche Kenntnisse über präkolumbische Kulturen liefere. Interesse an den Fundstücken und der damit zusammenhängenden Publikation hatte auch das 1873 neu gegründete Berliner Museum für Völkerkunde, das, wie zur damaligen Zeit üblich, im Austausch für die Fundstücke die Publikation finanzierte. Das Werk war somit nicht nur Ausdruck des im Kontext von Kolonialismus gesteigerten Interesses deutscher Wissenschaftsinstitutionen an Lateinamerika und der damit verbundenen Verbreitung kultureller Artefakte, es lenkte zugleich die Aufmerksamkeit auf den andinen Raum, der im Gegensatz zu den „klassischen“ griechischen und römischen Kulturen bei nordamerikanischen und westeuropäischen Archäologen und Anthropologen bis dato wenig Beachtung gefunden hatte. Die Rezeption beschränkte sich allerdings keinesfalls nur auf wissenschaftliche Kreise. Auch bei Bauhauskünstler*innen war das „Todtenfeld von Ancon in Perú“ beliebt, beispielsweise bei Anni Albers, die sich für andine Webkunst begeisterte.  (Lesen Sie hier auch in unserem Blog mehr zu Anni Albers.)

Titelblatt, Band 1

Das Interesse an dem Werk, das als erste Beschreibung einer wissenschaftlichen Ausgrabung in Peru gilt, hält bis heute an. So erreichte uns eine Ausleihanfrage über die internationale Fernleihe, der wir mit der Digitalisierung gerne nachkamen. Mit der Onlinestellung ist nun nicht nur der weltweite, kostenlose Zugang gewährleistet, auch dient diese Digitalisierungsmaßnahme dem Erhalt und Schutz dieser wissenschaftshistorisch bedeutenden Bände. Als Vorlage diente uns übrigens das vollständige Exemplar aus der Bibliothek des deutschen Anthropologen Walter Lehmanns, das sonst nur im Lesesaal unter gesonderten Bedingungen einsehbar und jetzt in seiner digitalen Form in den Digitalen Sammlungen zu finden ist.

Hinter dem, was nun problemlos per Mausklick erreichbar ist, steckt übrigens jede Menge bibliothekarische Arbeit: Um die wissenschaftliche Recherche zu vereinfachen, wurden die an dem Werk beteiligten Personen und Körperschaften mit der Personennormdatei der Deutschen Nationalbibliothek sowie mit Wikipedia verknüpft. Erreichbar sind diese Informationen unter dem Stichwort „Metadaten“. Ein Großteil der Arbeit fließt in die Auszeichnung und Beschreibung der einzelnen Strukturteile des Dokuments, also Titelblatt, Inhaltsverzeichnisse, Kapitel und Abschnitte. Sage und schreibe 600 solcher so genannten Strukturdaten mussten im Falle des „Todtenfelds von Ancon in Perú“ gekennzeichnet werden. Sparen kann man sich diesen Arbeitsschritt allerdings nicht, denn nur so können Interessierte die Objektteile direkt ansteuern – und müssen sich nicht einzeln durch die über 700 Images klicken. Um sich die für Sie interessanten Inhalte direkt anzeigen zu lassen, nutzen Sie also am besten das Inhaltsverzeichnis, das Sie unter der Funktion „Inhalt“ rechts auf der Website finden. Brauchen Sie zunächst einen visuellen Überblick, dann bietet sich die Funktion „Seitenvorschau“ an, bei der die Seiten zunächst verkleinert nebeneinander dargestellt werden.

Die Images können und dürfen gerne nachgenutzt werden: Über die Funktion „Zitieren und Nachnutzen“ können Sie sich beispielsweise die Images in den Formaten PDF, JPEG und TIFF herunterladen. Ein interessantes Analysetool ist außerdem das webbasierte Open-Source-Projekt Mirador: Hiermit können Sie Bilder – beispielsweise Abbildungen aus dem Todtenfeld und spätere archäologische Beschreibungen – auf einfache Art und Weise vergleichen und annotieren. Die hier beschriebenen Funktionen stehen Ihnen selbstverständlich nicht nur bei unserem neuen digitalen Objekt zur Verfügung. Auch alle anderen Objekte in den Digitalen Sammlungen lassen sich auf die gleiche Art und Weise durchsuchen und nutzen. Haben Sie Fragen zu unserem Digitalisierungsservice oder zu den Digitalen Sammlungen? Dann schreiben Sie uns eine Email an: digitalisierung@iai.spk-berlin.de

Literatur

Díaz-Andreu, Margarita. A World History of Nineteenth-century Archaeology: Nationalism, Colonialism, and the past. 1. Publ. ed. Oxford Studies in the History of Archaeology. Oxford [u.a.], 2007.

Gänger, Stefanie, Irina Podgorny, und Philip L. Kohl. Nature and Antiquities: The Making of Archaeology in the Americas. Tucson: University of Arizona Press, 2014.

Haas, Richard. Keramikfunde aus Ancón, Peru: Die Tonobjekte der Sammlung Reiss und Stübel im Museum für Völkerkunde Berlin. Indiana / Beih. 11. Berlin: Mann,  1986.

Hoffmann, Beatriz. Das Museumsobjekt als Tausch- und Handelsgegenstand: Zum Bedeutungswandel musealer Objekte im Kontext der Veräußerungen aus dem Sammlungsbestand des Museums für Völkerkunde Berlin. Wien: Lit, 2012.