Wie wir Kultur erleben – Massentourismus in Machu Picchu

Von Nina Schieting

Inmitten des Lockdowns gibt es wohl kaum etwas, das wir uns so sehr wünschen, wie einfach in das nächste Flugzeug zu steigen und wegzufliegen. So kam auch ich dazu, mir während einer meiner mir schier endlos erscheinenden Stunden in meiner Einzimmerwohnung die diversesten Reiseblogs anzuschauen und davon zu träumen, jetzt in Südamerika zu sein. Genauer gesagt in Peru. In Cuzco. Oder vielleicht auch einfach direkt am Machu Picchu. Dort jedoch bitte ohne Covid-19. Das würde sonst ja zu sehr einschränken. Wobei, wäre es vielleicht sogar besser während der Pandemie dort zu sein? Um so nicht von einer Menge an Touristen überrannt zu werden?

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Zwar reglementiert das peruanische Ministerio de Cultura bereits jetzt regelmäßig die Besucheranzahl und schreibt genaue Rundwege vor, jedoch erleben wir den Machu Picchu heute auf eine vollkommen andere Art und Weise als diejenigen Menschen, die im 15. Jahrhundert im Hochland der Anden lebten. Die indigene Stadt, die innerhalb des präkolumbischen Inkareichs für ihren zentralen politischen, religiösen und administrativen Stellenwert bekannt war, gilt als eines der „neuen sieben Weltwunder“, die 2007 in einer von der „New Open World Foundation“ initiierten Online-Umfrage gewählt wurden. Diese mediale Aufmerksamkeit hat sicherlich auch seinen Anteil daran, dass selbst in der Nebensaison rund 3 500 Besucher diesen „Santuario Histórico y Cultural de la Humanidad“ besuchen. Im Sommer 2020 hat das Ministerio de Cultura nun festgelegt, dass die Ruinenstadt nicht mehr als 2 244 Besucher pro Tag empfangen darf. So versucht das Land sein kulturelles Weltwunder vor dem Verfall, der durch den hohen Besucherandrang entsteht, zu schützen. Ein Limit von 2 244 Personen am Tag dient also dazu, dass die auf 2 400 Meter liegende heilige Stadt der Incas nicht zerstört wird und für zukünftigen Generationen erhalten bleibt.

Rechnet man diese Besucherzahl auf ein Jahr hoch, gelangt man zu der Zahl 819 060. Noch 2018 waren es ca. 1,3 Millionen mit einem Durchschnittswert von 3.500 Besuchern pro Tag. Im Vergleich mit den anderen sieben Weltwundern der Neuzeit ist diese Zahl jedoch noch vernachlässigbar. Die Christus-Statue auf dem Corcovado in Rio de Janeiro zählt etwa 2 Millionen Gäste im Jahr, der Taj Mahal in Agra, Indien, rechnet jährlich bereits mit 7 bis 8 Millionen Besuchern und Badaling, der beliebteste Teil der Chinesischen Mauer verzeichnete im Jahr 2018 mehr als 9,9 Millionen Besucher. Wir sind es also gewohnt diese historisch bedeutenden Orte umgeben von Tausenden anderer Touristen zu besuchen. Doch können wir so überhaupt noch den „eigentlichen“ Charme dieser außergewöhnlichen Orte wahrnehmen? Wie erleben wir unseren Ausflug zum Machu Picchu, wo man im Voraus Zeitfenster für den eigenen Besuch buchen muss?

Auf jeden Fall gemeinsam mit vielen anderen Menschen aus den unterschiedlichsten Orten der Welt. Aber auch mit Lamas und Alpacas, die an den Wegrändern stehen. Und hoffentlich voller Achtsamkeit gegenüber dem, was sich uns hier gerade offenbart: Eine heilige Stadt in 2 400 Meter Höhe, über deren Funktion und Zweck bis heute einige Theorien existieren.

Kultur erleben- Das ist es, was wir uns von einer Reise zu einem der sieben Weltwunder der Neuzeit erhoffen und dieser jeweilige Ort steht im Zentrum unseres Interesses. Wir erleben allerdings nicht nur das Weltkulturerbe, das wir in diesem Moment besichtigen, sondern kommen zugleich auch in Kontakt mit anderen Touristen, die wiederum kulturell ganz unterschiedlich geprägt sind. Ob wir wollen oder nicht, wenn wir uns auf eine Reise begeben, gehen wir ebenfalls interkulturelle Erfahrungen ein. Indem wir auf Menschen aus anderen Gesellschaften treffen, erweitern wir unseren kulturellen Horizont – ganz gleich, ob wir nun mit den Kulturen aus dem 15. Jahrhundert oder mit jenen aus dem 21. Jahrhundert in Kontakt kommen. Die hohe Anzahl an Touristen, die den Machu Picchu besuchen, sollten vielleicht nicht nur negativ gesehen werden. Vielleicht sollte man dies jedoch nicht immer nur negativ sehen. So sind die vielen Touristen aus allen möglichen Ländern der Welt, die sich an diesen besonderen Orten treffen, wohl auch eine Art interkultureller Austausch. Und obwohl es wohl feststeht, dass wir den Machu Picchu nie wieder so leer sehen werden wie auf dem obigen Foto, lernen wir bei einem Besuch eines solchen Weltwunders doch einiges über Kulturen dazu. Und darum geht es uns doch eigentlich, oder?

Bei aller Schönheit, die also innerhalb dieses interkulturellen Austausches steckt, sollten wir dennoch nicht unseren Respekt gegenüber diesem Weltwunder und dessen kultureller Bedeutung vergessen. So führt ein aus den Fugen geratender Massentourismus zwangsweise leider auch zu großen Schäden und Verschmutzungen. Die zusehends stärker regulierten Bedingungen, in denen wir unseren Ausflug machen, haben also eigentlich nur das Ziel, dass es uns noch lange möglich ist, auf den Spuren früherer zu wandern und dabei dieses architektonische Meisterwerk zu bewundern.

Dieser Blogbeitrag wurde verfasst von Nina Schieting, die an der Eberhard Karls Universität Tübingen Spanisch und Englisch (Parallelstudium Master of Education/Master of Arts Romanische Sprachwissenschaft studiert und in der Zeit vom 1.3.-16.4.2021 ein Online-Praktikum in der Bibliothek des Ibero-Amerikanischen Instituts absolvierte.

Wer sich über die Ostertage näher mit dem Weltkulturerbe Machu Picchu und Tourismus in Peru auseinandersetzen möchte, findet in der folgenden Literaturliste einige Empfehlungen für die Lektüre. Alle Titel stehen digital zur Verfügung.

Literaturliste (Auswahl)

Acevedo Saenz, J.J..Quality of Enforcement and Compliance with the Solid Waste Management Law : A Case Study of the Impact of Tourism within the Historical Sanctuary of Machu Picchu, Perú. 2009.

Arce Jesús, Jorge Enrique et al. Planeamiento Estratégico Para La Industria Del Turismo Receptivo, Tesis presentada en Santiago de Surco 2018.

Babb, Florence E. “Making Machu Picchu: The Politics of Tourism in Twentieth-Century Peru.” Estudios Interdisciplinarios de America Latina y El Caribe, vol. 30, no. 1, Jan. 2019, p. 169.

Barbachán Serrano, Elena et al. Planeamiento Estratégico Para La Industria Peruana de Turismo, Tesis presentada en la Pontificia Universidad Católica del Perú, Lima 2017.

Barreto Noriega, Sandra et al. Planeamiento Estratégico Para El Sector Turismo En El Perú, Tesis presentada en la Pontificia Universidad Católica del Perú. Lima 2017.

Starn, Orin et al. „The Peru reader: history, culture, politics.“ The Latin America readers. Durham, Duke University Press, 2005.

Smith Jeffrey S., Hurt Douglas A. Roads Less Traveled: Emerging Tourism in Peru. Focus on Geography ; vol. 54, issue 1, 2011, p. 11-23.

Woodside, Arch and D. Martin, Introduction: The Tourist Gaze 4.0: Uncovering Non-Conscious Meanings and Motivations in the Stories Tourists Tell of Trip and Destination Experiences. International Journal of Tourism Anthropology (IJTA), Vol. 4, No. 1, 2015.