I exist – Die BIPoC-Künstlerin Breena Nuñez macht in ihren Comics Afrodescendientes sichtbar

„Can Black People also come from El Salvador?“ – diese Frage stellt sich die Protagonistin eines autobiographischen Comics, den die afro-salvadorianisch-guatemaltekische Comicbuchkünstlerin Breena Nuñez unter dem Titel „I exist“ im Februar 2020 im politischen Satire-, Journalismus- und Non-Fiction-Comic-Magazin The Nib veröffentlicht hat.

Aus: Breena Nuñez: Being Half-Salvi, #Issue 1.

Dieser Frage liegt eine besondere Brisanz inne, denn sie bezieht sich auf ein Land, in dem bis heute die Vorstellung dominiert, es sei das einzige zentralamerikanische Land, in dem keine Schwarzen Menschen leben würden. Für Breena Nuñez ist diese Identitätskonstruktion El Salvadors, die einzige nicht-Schwarze-Nation in der Region zu sein, nicht nur aufgrund ihrer eigenen Herkunft, – sie ist selbst Afro-Salvadorianerin -, wenig überzeugend, sondern auch deshalb, da in allen anderen zentralamerikanischen Ländern „Black Folks“ leben. In ihrem Comic „I exist“ begibt sich Nuñez so auf eine Reise durch Zeit und Raum, um das afrikanische Erbe in der Region aufzuspüren. Sie stößt hierbei auf eine spanische Verordnung aus dem Jahr 1541, in der spanischen Land- und Minenbesitzern erlaubt wurde, indigene, versklavte Arbeiter und Arbeiterinnen durch Schwarze Sklaven, die über den Menschenhandel aus Afrika nach Zentralamerika verschifft wurden, zu ersetzen. In den nächsten 75 Jahren des 16. und 17. Jahrhunderts kamen so Tausende Schwarze Menschen nach Zentralamerika, auch in die Landteile, die heute zu El Salvador zählen. Die Tatsache, dass nach dem Ende der spanischen Kolonialherrschaft viele Schwarze Menschen in andere Regionen migrierten, wurde dann wiederum in El Salvador aufgenommen, um das Narrativ einer nicht-Schwarzen-salvadoranischen Gesellschaft zu rationalisieren und zu verfestigen. Diese Behauptung sei aber nicht korrekt, wie Nuñez ihre Protagonistin mit hochgezogener Augenbraue resümieren lässt.

Aus: Breena Nuñez: Brujería con queso.

„I exist“ – das reklamieren momentan viele People of Color in Zentralamerika für sich. Nach dem gewaltsamen Tod des Afroamerikaners George Floyd und den darauffolgenden Protesten gegen Rassismus und Gewalt in den USA und vielen anderen Ländern, erklären sich Schwarze und Indigene Zentralamerikaner*innen mit der Black-Lives-Matter-Bewegung solidarisch, fordern die Anerkennung ihrer unveräußerlichen Rechte und protestieren gegen Rassismus und Diskriminierung. Über Jahrhunderte hinweg war ihre Einbeziehung in die zentralamerikanischen Gesellschaften jedoch gering, wenn nicht gar ausschließend, wie Historiker*innen, beispielsweise in dem Band Blacks & blackness in Central America: between race and place, hervorheben. Schwarze und Indigene Menschen ringen hierbei um Anerkennung in einer Region, in der nationale Identitätskonstruktionen immer noch auf der Idee der Mestizaje, der Verschmelzung des europäischen und indigenen Erbes, beruhen. Gerade Schwarze Menschen, aber auch indigene Gesellschaftsgruppen werden von diesem vorherrschenden Ideal einer vornehmlich auf Weißsein konstruierten Gesellschaft immer noch entfremdet. Besonders in El Salvador sehen sich Schwarze Menschen mit Marginalisierung und Verleugnung konfrontiert – eine Folge von Blanqueamiento-Politiken, die der salvadorianische Staat im 19. und 20. Jahrhundert auf vielfacher Weise – mental, sozial, ökonomisch und kulturell – forcierte. Dies betraf beispielsweise auch die Immigrationsgesetze: Von 1933 bis zu den 1980er Jahren war es Schwarzen Menschen gesetzlich nicht erlaubt, nach El Salvador zu immigrieren. Die Marginalisierung und Verleugnung anderer nicht-weißer-Menschen betrifft jedoch auch die anderen zentralamerikanischen Länder: Beispielsweise wurden in den zentralamerikanischen Zensus, die seit dem 19. Jahrhundert erstellt werden, afrozentralamerikanische Menschen von den 1960er Jahren bis in die 1980er Jahre nicht mehr aufgeführt und damit unsichtbar gemacht, wie die Historikerin Mara Loveman in ihrer Studie zu Zensusarbeiten und ethnische Klassifikationen zeigte.

Diese historisch gewachsenen rassistischen Strukturen aufzubrechen, ist keine leichte Aufgabe. Afrozentralamerikanische und Indigene Gruppen versuchen auf unterschiedliche Art und Weise, soziale Inklusion einzufordern und ihr Erbe sichtbar zu machen. Nuñez beispielsweise nutzt Comics als künstlerisches Mittel um dominierende Narrative aufzubrechen; anti-rassistische Organisationen in den zentralamerikanischen Ländern veranstalten derzeit virtuelle Proteste für eine rassismus- und diskriminierungsfreie Gesellschaft. Auch wissenschaftlichen Arbeiten kommen bei der Sichtbarmachung marginalisierter Gruppen eine wichtige Rolle zu. Um die Verbreitung dieser Aktivitäten und Publikation zu fordern, posten wissenschaftliche Netzwerke, beispielsweise die LASA Central America Section oder das europäische Netzwerk RedISCA (Red Europea de Investigaciones sobre Centroamérica) auf ihren Social-Media-Kanälen Informationen und Links zu Veranstaltungen, Blogbeiträgen und Literatur zu diesem Thema. Deren Literaturempfehlungen haben wir hier für Sie in Teilen extrahiert, Sie finden Sie unten. Ein Besuch auf den Social-Media-Kanälen dieser Netzwerke lohnt sich trotzdem allemal.

Comics by Breena Nuñez
Aus: Breena Nuñez: Being Half-Guatemalan, Issue #1

Auch Bibliotheken können zur Sichtbarmachung und Inklusion von marginalisierten und negierten Gesellschaftsgruppen beitragen: Einmal selbstverständlich durch die Anschaffung von themenspezifischer Literatur, andererseits durch den Erwerb von Medien, die nicht zum Mainstream gezählt werden und die von Black, Indigenous und People of Color veröffentlicht wurden. Wir freuen uns deshalb besonders, dass wir zehn Comics der afro-salvadorianisch-guatemaltekischen Künstlerin Breena Nuñez, die sie selbst als Zines veröffentlichte und die oftmals nur auf kleineren Zinefestivals erhältlich sind, für die Bibliothek des Ibero-Amerikanischen Instituts erwerben konnten. Die im US-amerikanischen Bay Area lebende Künstlerin beschäftigt sich auch mit tagesaktuellen Themen, bspw. mit  COVID-19 und Alltag in Quarantäne-Zeiten. In vielen ihrer englischsprachigen, autobiographischen Comics geht es ihr allerdings um „the nuances of existing as an Afrodescendiente from the Bay Area.“ So sagt sie selbst auf ihrer Webseite: „My hope as a cartoonist is to help BIPOC folks give themselves permission to cry or laugh through the language of comics and to see this as a valuable form of storytelling.“

Breena Nuñez im Netz:

IG: @breenache; Twitter: @breenache

Aus Breena Nuñez: Being Half-Salvi, Issue #1.

Webseite: https://www.breenache.com/

Lektüreempfehlungen

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