Der schwarze Vogel mit dem roten Schnabel: Mauricio Gattis „Im Urwald gibt es viel zu tun“ in einer neuen Edition

En la selva hay mucho por hacer erzählt von einer Gruppe von Tieren, die von einem Jäger gefangen und im städtischen Zoo eingesperrt werden. Da sie ihre Kinder und ihr Zuhause im Urwald vermissen, planen sie ihre Flucht. Mauricio Gatti, der diese Geschichte verfasst und die Bilder dazu erstellt hat, wurde 1971 wegen seiner Tätigkeit als Mitglied einer anarchistischen Studentengruppe in Uruguay inhaftiert. Die Zeichnungen und Reime richtete er damals als Briefe an seine dreijährige Tochter Paula.

Texte und Bilder wurden vom Kollektiv Comunidad del Sur 1972 in Uruguay als Buch veröffentlicht. 1974 nahmen Alfredo Echaniz, Gabriel Peluffo und Walter Tournier unter dem kollektiven Pseudonym Grupo Experimental de Cine das Buch als Grundlage für einen Animationsfilm. Der Film war die letzte Produktion der unter der Diktatur geschlossenen Cinemateca del Tercer Mundo. Er konnte nur zweimal vorgeführt werden und tauchte erst einige Jahre später wieder auf. Kopien wurden in den 1970er und 1980er Jahren weltweit auf Veranstaltungen im Kontext von Menschenrechtskampagnen und Solidaritätsveranstaltungen gezeigt.

Heute steht der Film auf Youtube zur Verfügung, ist Teil des Archivo de Cinemateca Uruguaya und wurde als nationales Kulturgut vom Laboratorio de Preservación Audiovisual del Archivo General de la Universidad de la República digitalisiert. Im IAI ist er auf einer DVD-Edition mit den gesammelten Werken von Walter Tournier (Signatur DVD 2013/131) ausleihbar.

Das Buch wurde 1977 in Spanien, wo Mauricio Gatti ins Exil gegangen war, von Ediciones Solidaridad / Centro de Información y Documentación del Tercer Mundo in Barcelona herausgebracht. Englischsprachige und deutschsprachige Übersetzungen erschienen ab 1979, einige davon in Klein- und Selbstverlagen, mit unterschiedlichen Schwerpunkten auf der Lyrikübertragung oder auf den Zeichnungen. 2000 veröffentlichte die wiedergegründete Comunidad del Sur das Buch in Uruguay und 2002 kam eine Übersetzung in französischer Sprache heraus.

Die nun vorliegende Ausgabe Berlin 2019, die außer den Zeichungen und Texten Gattis einen erläuternden Aufsatz von María Berríos zum Autor, zur uruguayischen und argentinischen Militärdiktatur und zur Poesie des Widerstands enthält, ist Teil einer Reihe von Publikationen der 11. Berlin Biennale für zeitgenössische Kunst und steht auf Englisch und auf Deutsch zur Verfügung.

Mauricio Gatti wurde außerdem bekannt als Vater von Simón: 1973 floh Gatti zusammen mit seiner schwangeren Lebensgefährtin Sara Méndez vor der uruguayischen Militärdiktatur nach Argentinien, in der irrtümlichen Annahme, dort freier und sicherer zu sein. In Buenos Aires nahm sie eine im Rahmen des Plan Cóndor – einer Kooperation der diktatorischen Regime von sechs lateinamerikanischen Ländern – operierende Spezialeinheit gefangen. Sara Méndez gebar ihren Sohn Simón während der Haft, er wurde ihr umgehend weggenommen und zur Adoption freigegeben. Nach ihrer Freilassung suchte sie intensiv und gegen viele Widerstände nach ihm, eine Geschichte, die Erich Hackl in seinem Buch „Sara und Simón“ verarbeitete. Nach mehreren Fehlschlägen wurde Simón im März 2002 gefunden. Seinen Vater, der 1991 gestorben war, konnte er nicht mehr kennenlernen.

Quellen:
María Berríos: Solidarität und Geschichtenerzählen. Gezwitscher gegen das Eingeschlossensein, in: Mauricio Gatti, Im Urwald gibt es viel zu tun, Berlin 2019.
Mauricio Gatti: Much to do in the forest, in: Index on Censorship 8:2 (1979), 47-49.

Lesen Sie mehr …
…zur Cinemateca del Tercer Mundo:
Dufuur, Luis: La Cinemateca del Tercer Mundo: Una Cinemateca poco conocida, in: Toma uno 6:6 (2018), 27-40.
…zu Sara Méndez und Simón Riquelo:
Stefan Thimmel: Das glückliche Ende einer langen Suche, in: Lateinamerika Nachrichten 335 (Mai 2002).